Dienstag, 24. Dezember 2013

Freedom

Ich bin jetzt seit zwei einhalb Wochen in A.D. und hadere noch immer damit, was ich schreiben soll. Ich habe Leute getroffen, die seit Jahren immer wieder kommen und die hier eine Paradies für sich gefunden haben. Und wenn ich höre, wie es früher war, muss A.D. ein magischer Ort gewesen sein. Es ist, wie ganz Südafrika, ein Ort voller Gegensätze, eine Welt mit zwei Gesichtern. Die eine Seite, sind zum Beispiel die anderen Volunteere. Wir sind etwa 30 Leute und obwohl ein ständiges Kommen und Gehen herscht, bilden wir eine tolle Gemeinschaft mit wundervollen, beeindruckenden Menschen. Und auch das Betüddeln der Servale und Äffchen macht mir große Freude.
Die andere Seite sind all die prägenden, schrecklichen Momente. Beispielsweise das Füttern toter Küken an die Minifalken in dem Wissen wie diese umgebracht wurden oder das Vorbereiten des Hackfleischs für die fleischfressenden Vögel. Und immer wenn du denkst, du hast dich an Blut und Tod und den Geruch von Verwesung gewöhnt, passiert etwas schlimmeres. Dann gehst du zu deiner Hütte und kommst an einem Truck vorbei, auf dem zwei winzige, entzückende Kälbchen auf einem Berg toter Hühner stehen und du weißt, wenn du deine Hütte erreicht hast, sind sie schon tot; oder P. bringt einen großen Sack toter Küken in den Vorratsraum und plötzlich piepst es in dem Sack und eine "Managerin" erzählt dir ganz leicht neben her, dass es jedes Mal vor kommt, dass sie nicht alle Küken vernünftig umgebracht bekommen, während sie zwischen den reglosen Leibern nach den Überlebenden stöbert. Dieser Ort frisst sich durch meinen Schutzwall wie Säure und Mike, ein wundervoller Mensch, den ich hier kennen lernen durfte, ist wohl der Grund, dass er noch steht.

Ich sitze vor der Main Aviary und beobachte die Vögel durch den Maschendrahtzaun. Seit einer Stunde warten wir auf Anweisung von P. Dieser rennt immernoch mit 5 anderen Männern durch den Käfig, in fieberhafter Suche, die Augen auf den Boden geheftet. Sein Luftgewehr ist geladen, die Anderen tragen Stöcke und Baseballschläger, mit denen sie in die Büsche schlagen. Noch haben sie die Ratte nicht gefunden. Auf einmal taucht ein starkes Bild in meinem Kopf auf, es ist ein Loch unter einem Busch in dem sich ein entsetztes kleines Lebewesen versteckt. Wenige Sekunden später brüllt einer der Männer "there is a hole", während er halb in einem der größeren Büsche verschwindet. Sofort werden Gießkannen herangeholt und das loch wird geflutet. Ich sehe einen Schwall Wasser auf mich zukommen, fühle Panik und Atemnot. Voll todesangst versucht die Ratte aus ihrem Loch und unter den nächsten Busch zu gelangen und rennt dort vor den Lauf von P.s Flinte. Dieser schießt, schafft es jedoch nur sie zu verletzen und als sie auf die  andere Seite des Bushes flieht, packt einer der anderen sie am Schwanz, wirft sie in die Luft und schlägt sie mit dem Baseballschläger einige Meter weit durch die Voliere.

Es ist für mich so schwer begreiflich, wie man das Leben eines Tieres auf diese Weise über das eines Anderen stellen kann. Die meisten von uns sind in dem Glauben und der Hoffnung gekommen, Tiere zu retten. Aber in dem Moment in dem klar wird, welcher Preis dafür gezahlt wird und dass es noch nichteinmal um Auswilderung geht, sondern darum, eine Art "Zoo"  für die Volunteere aufzubauen, wird einem ganz schlecht. Denn wir sind das Geschäft dieses Ortes, an uns verdienen sie das Geld. Deswegen sind die Tiere hier, um zu bleiben.

Ich spreche am nächsten Tag mit P. darüber und es ist sehr interessant. Er sagt, wannn immer du dich für etwas entscheidest, entscheidest du dich gegen etwas anderes und jeder würde beschützen, was er liebt, also schütze er seine Vögel. Das ist eine Erfahrung, die ich ebenfalls gemacht habe, aber ist der Preis für ein Leben immer ein Anderes? Er meint: in dem Moment in dem man ein Tier aufzieht, es an einen gewöhnt und füttert, geht man eine lebenslange Verbindung ein. Eine sehr verantwortungsbewusste Auffasung, wie ich finde. Doch wenn man sich klar macht, dass über 300 Tiere in Afrikan Dawn leben, liegt das Problem auf der Hand. P. sagt, er kann die Welt nicht retten, er kann nur versuchen, den kranken und verletzten Tieren eine zweite Chance zu geben. Und darin ist er ausgesprochen gut. Hier leben einige Vogelarten, die vor P. keiner zum Brüten in gefangenschaft gebracht hat.
Ich bin mir nicht sicher, ob für mich ein Leben in Gefangenschaft tatsächlich eine zweite Chance bedeutet. Vielleicht sind es nur wir Menschen, die den Käfig dem Tod vorziehen würden. Vielleicht ist der Tod für Tiere, in ihrem Bewusstsein um ihre Sterblichkeit und ewige Seele, einfach nur ein neuer Anfang.
Was ich gelernt habe ist, dass jeder, wann immer er etwas retten oder schützen will, einen Preis dafür zahlen muss. Die Konstellationen, in denen Tiere in meinen Augen wirklich geschützt werden, kosten die Verantwortlichen ausgesprochen viel Geld, Zeit und manchmal ganze Aspekte ihres Lebens. P. bezahlt den Preis hier nicht, wir Volunteere zahlen mit Geld, Zeit, Liebe und unserer Illusion von einer grundlegend positiven oder liebevollen Welt. Und das führt, in meinen Augen, immer zu einer Schieflage. Auf diese Weise kommt immer jemand zu schaden. Wäre dieser Ort kleiner, hätte P. die Möglichkeit, alle Gehege rattensicher zu machen und kein Tier müsste sterben. Ich weiß für mich, dass ich nicht das Wesen bin, dass über den Wert eines Lebens zu entscheiden oder gar zu urteilen vermag. Ich glaube, dass eines der grundlegenden Probleme unserer Rasse ist, dass wir verlernt haben, auf eine liebevolle, umsorgende Natur zu vertrauen. Hätten wir noch das Urvertrauen und das tiefe Verständnis der Aborigines, wäre dies eine komplett andere Welt.

Ich stehe am Strand von Jeffreys Bay und beobachte den Sonnenaufgang über dem Ozean. Die Wellen sind perfekt, das Wasser ist schon warm und die ersten goldenen Strahlen liebkosen das Meer. Lewis steht neben mir. Ich schlüpfe aus meinem Kleid und gemeinsam rennen wir in die Fluten.